Familiengeschichte von Grete Stursberg geb. Wiescher Zurück

Familiengeschichte von Grete Stursberg geb. Wiescher, Teil 1

Grete Wiescher Der Jungmädchenname eurer Mutter war Wiescher.

Durch Herrn Fritz Wiescher, jetzt wohnhaft in Schmallenberg / Sauerland (*1887), mit dem ich mehrere Jahre in Briefwechsel stand erfuhr ich, dass eine Schwester seines Grossvaters ihrer Tochter erzählte, dass die Wieschers aus Holland stammen. Dasselbe hatte mir schon als Kind mein Gesanglehrer von der Laden gesagt und mich durch diese Bemerkung zur Ahnenforschung angeregt.

Der Urossvater des Fritz Wiescher war Peter Gottfried Wiescher (*1774 +1828) der im Jahr 1800 die Maria Christina Erbslöh (Wülfing) (*1779 +1830) heiratete.
Ihre Kinder waren:
1. Karl Friedrich *1812 (Grossvater von Fritz Wiescher)
2. Johanna Karolina *1802
3. Christine Wilhelmine *1804
4. Helene Christine *1806

Interessant ist die Verwandtschaft Stursberg, Erbslöh, Wiescher:
Die oben genannte Maria Christine Erbslöh war eine Tochter von Johannes Erbslöh zu Hammansberg und Anna Maria Stursberg (oo 28.3.1727 in Lüttringhausen).
Anna Maria Stursberg war eine Tochter von Franz Stursberg, gen Sirach (*1646 auf Stursberg I +1712 in Ronsdorf) und Anna Maria Blombach, dessen Kinder waren:
1. Franz; Stifter der älteren Linie in Ronsdorf
2. Johann Peter; Stifter der jüngeren Linie in Ronsdorf
3. Anna Maria oo 28.3.1727 Lüttringhausen oo Johannes Erbslöh zu Hammansberg

Dass unsere Familie aus Holland stammt ist sehr wahrscheinlich, da im 18. Jahrhundert und noch im 19. Jahrhundert in unserer Familie die holländischen Namen vorwiegten, wie: Wilhelmus, Hendrik, Carel, Caspar, etc
und die Frauennamen alle auf 'a' enden wie: Wilhelmina, Carolina, Helena, Catharina, Christina, usw.

Nun die Erzählung von Herrn Fritz Wiescher in seinem Brief vom 16.9.1950

... Unser Stammvater soll nicht aus Barmen, sondern von Holland stammen. Es sei ein adliger Herr mit Namen 'von der Wiesch' gewesen und hätte in Hofdiensten gestanden. In dieser Eigenschaft wäre er nach dem Hammesberg und Lüttringhausen gekommen, wo unsere Vorfahren Erbslöh grosse Pferdekoppeln gehabt haben. Es ist ja bekannt, dass die Erbslöh ein grosses Fuhrgeschäft neben ihrer Bauernschaft gehabt haben. Sie besorgten den ganzen Frachtverkehr im In- und Ausland und hatten zu diesem Zweck überall ihre Stationen mit Stallungen, wo die Pferde zum Weiterfahren ausgewechselt wurden. Der genannte Herr von Wiesch heiratete eine Erbslöh Tochter und nahm sie mit nach Holland. Ein Prinz des königlichen Hauses verliebte sich in diese, die sehr hübsch gewesen sein soll. Im Duell hat dann Herr von Wiesch den Prinzen erstochen. Er musste daraufhin mit seiner Frau flüchten. Sie kehrten zu den Eltern Erbslöh auf den Hammesberg ' Lüttringhausen zurück. Dann kaufte der von Wiesch sich wohl in Barmen an und sein Grundstück wird seitdem 'an der Wiesche' bezeichnet. Wir sollen alle von diesem von Wiesch und seiner Frau, geb. Erbslöh abstammen. Die heutige Familie Erbslöh ist in Besitz einer genauen Familienurkunde ihrer Familie, aus der auch alle Abzweige mit der Familie Wiescher hervorgehen. Meine verstorbene Schwester (+1949) hat seinerzeit bei einer Frau Schmidt, geb. Erbslöh, wohnhaft in Köln eingesehen.

(Bemerkung von G.W.: Ich habe am 4.1951 an diese Dame auf gut Glück nach Köln geschrieben, aber den Brief zurückerhalten. Wahrscheinlich ist Frau Schmidt ausgebombt worden und verzogen.)

Die Wichlinghauser Urkundenregister sind nun durch den Krieg erhalten geblieben - 1921 habe ich sie in der Wichlinghauser Kirche eingesehen, die Geburtsregister von 1744-1777 (Bau der Kirche: 1744) - wohingegen sämtliche Unterlagen in Wupperfeld durch den Krieg (1943) verloren gegangen sind .... (Bau der Wupperfelder Kirche: 1778). Dort hatten Familie Wiescher und Familie Hogarten einen Sitz in der Kirche mit ihrem Namen. Ich habe 1921 in der Wupperfelder Kirche nachgeforscht: Geburtsdaten 1778 - 1852; Vermählungsdaten: 1801 - 1810; Sterbebücher: 1778 - 1853)

Ein Zeitungsauschnitt aus dem Generalanzeiger vom 6. 10. 1936 gibt an:

dass vor 300 Jahren demnach das Stammhaus der Familie Wiescher, heute noch benannt 'an der Wiesche' in den Besitz der Familie Rittershaus gekommen ist. In dem Haus befindet sich noch eine dicke, in Schweinsleder gebundene Familienbibel, in der zahlreiche Familiennachrichten eingetragen sind. Auch die alten Hofesakten gibt es noch.

Mein Bruder Klaus hat ein Buch 'Das Hofgericht Wichlinghausen'. Da wird 1672 ein Wilhelm an der Wiesche erwähnt und zwar als Fürsprecher (Wortführer) beim Hofprotokoll. Und 1684 ein Peter Rittershaus (Wiesche) . Statt vor 300 Jahren scheint also vor 252 Jahren das Stammhaus an der Wiesche in den Besitz der Rittershaus gekommen zu sein. Aber wodurch? Wahrscheinlich durch eine Heirat mit einer Tochter des Besitzers, denn der letztere wird 1704 im obigen Hofgerichtsbuch noch erwähnt.

Als Erinnerung an die Wiescher gibt es eine Wiescherstrasse, die durch das Gelände unserer Vorfahren geht. Der alte Besitz heisst jetzt wieder 'an der Wiesche'.

Mein Urgrossvater Johann Wilhelm Wiescher (1777 +1851) hat ein Ahnenbuch angelegt, das meinem Vater gehörte, da er der Vater von zwei Söhnen war. Der ältere Bruder Oskar (Vater von zwei Töchtern) hat es aber nach Brüssel entführt. Durch den ersten Weltkrieg war es längere Zeit verloren, dann aber tauchte es mit zurückerstatteten Sachen wieder auf. Bruder Klaus und ich liessen uns dann Fotocopien anfertigen, Gott sei Dank, denn seit dem zweiten Weltkrieg soll das Heft in Bonn wieder verschwunden sein.

Der erste Wiescher, von dem wir genau wissen, ist Wilhelmus Heinrich Wiescher
oo 1738 in der luth. Kirche zu Elberfeld mit Anna Christina Frowein.

Sein Sohn ist Heinrich Wilhelm Wiescher (mein Ur-Ur-Grossvater) (*1740 +1813)
oo 1773 mit Anna Sophia Hammacher (*1739 +1801) (5 Kinder)

Beider Sohn ist der Schreiber des Ahnenheftes, Johann Wilhelm Wiescher (mein Urgrossvater) (*1777 +1851)
oo 1805 in der alten lutherischen Kirche Wupperfeld mit Maria Elisabeth Homberg (*1779 +1854)
Im Barmer Adressbuch von 1850 steht unser Urgrossvater als Ackerer (d.h. Besitzer eines kleinen Landgutes) drin.

Caspar Friedrich Wiescher
1817-1869

Sie hatten 9 Kinder:
Das erste Kind: Caroline Wilhelmina *18. 8. 1806 +1853 an Schwindsucht; verehelichte Vogel
Das vierte Kind Friedrich Wilhelm *1812 +1849 an Cholera, von Beruf Färber
Das siebente Kind war mein Grossvater Caspar Friedrich Wiescher. Er wurde nach der Hungesrnot (1816) in Barmen geboren. Sein Schwesterchen Wilhelmina Carolina 1916 geboren blieb nur 15 Tage am Leben.

Grossvater Caspar Friedrich Wiescher (*8. 9. 1817 +11. 6. 1869)

Er war Blaudruckbesitzer und als das nicht mehr ging wurde er Färbereibesitzer. Davon verstand er aber wenig und musste sich auf Meister und Gesellen verlassen. (Zitat aus Ernst Wiescher's Erinnerungen)

Jeden Morgen und Abend las Grossmutter Wiescher aus 'Starkes Gebetbuch' eine Andacht vor. Nach Tante Ottildens Tod blieb Onkel Oskar mit dem Buch.

Emilie Hogarten
1822-1896

Grosstante Emilie Hogarten kenne ich aus den Erzählungen von Vater und Tante Ottilde. Grosstante Emilie, ledig geblieben, führte ihrem Bruder, dem unverheirateten Grossonkel Herrmann den Haushalt. In den Erzählungen ihrer Nichten und Neffen war sie schrecklich sparsam. So gab sie ihrem Dienstmädchen jeden abend Pannas, der billig war. Als die ihn sich leidgegessen hatte, warf sie ihn ins Seitengässchen des Hauses. Das ging so lange gut bis ein Nachbar davon getroffen wurde. Was Grosstante Emilie dann tat, ist nicht überliefert.

Jeden Jahresanfang mussten die Nichten und Neffen den obligaten Besuch bei Tante und Onkel machen. Da bekamen sie selbstfabrizierten Likör und Plätzchen vorgesetzt. Die letzteren waren so hart, dass die Neffen mit ihren gesunden Zähnen sie nicht beissen konnten. Aus Spass schrieb ein Neffe (Paul Hogarten) das Datum darunter und nach einem Jahr waren es immer noch dieselben Plätzchen. Bei einer Bemerkung darüber, dass die ewige Sparerei doch sinnlos sei, meinte die Grosstante: 'Es wird wohl noch manch einer unter Euch sein, der es nachher gut gebrauchen kann.' Sie starb 1896 und hinterliess ein gespartes Vermögen von 70,000 Mark, das sie ihren 10 Neffen und Nichten (5 Wieschers und 5 Hogarten) vermachte.

Hermann Hogarten
1827-1897

Grossonkel Hermann Hogarten war 7 Jahre jünger als Grossmutter Juliane. Er war als Prokurist der alten Fabrikationsfirma Molineus & Co. Angestellt und lebte in guten Verhältnissen. Wie schon erwähnt führte ihm die Grosstante Emilie den Haushalt und nach deren Tode übernahm ihn meine unverheiratete Tante Ottilde. (Zitat aus Ernst Wiescher's Erinnerungen)

Bei der Versteigerung der Mobilien innerhalb der Familie ging das Ölgemälde von Rethel (Alfred Rethel (1816-1859) ) 'Der Geburtstag' für 800 Mark in Onkel Oskar's Hände über. Das Gemälde erhielt Grossonkel Hermann als Geschenk von der Firma Molineus, beim Tode des einen der Inhaber. Dies Bild, das in Künstlerkreisen heute unter einer veränderten Geschmacksrichtung in der Technik der Malerei noch immer genannt wird befindet sich jetzt bei Onkel Oskar's Tochter Erna in Bonn. Onkel Hermann ist von dem Bruder seiner Nichte Molly dem Maler Bruno Dittmann in Öl gemalt worden. Das Gemälde hat jetzt mein Bruder Klaus Wiescher.
Der Name Hogarten stirbt aus, denn es ist nirgendwo ein männlicher Nachkomme vorhanden.

Molly Dittmann

Die Tanten

Emilie Mangels geb. Wiescher
1856-1931

Tante Emilie Mangels war die ältere Schwester meines Vaters. Sie war die beliebtere bei ihren Brüdern. Wir Kinder mochten sie nicht so gerne wie Tante Ottilde. In meinen Augen war sie falsch.
Am ersten Weihnachtstag wurden wir zur Bescherung in die Cleferstrasse 75 eingeladen. Wir gingen ungerne hin, denn wir trennten uns schwer von unseren neuen Spielsachen und Büchern. Auf dem Heimweg ging Vater mit uns zu Fuss durch die Anlagen nach Hause. Meistens lag Schnee und es war bitterkalt. Dann sollten wir den Sternhimmel bewundern, der wirklich in grosser Klarheit vom Himmel strahlte und sagen wie die Sterne hiessen. Mich aber interessierten bei der Kälte weder die Venus noch die Kassiopeia, nur meine abgestorbenen Finger, ich sehnte mich nach Hause und den durchwärmten Zimmern. (Der einzige, der Vaters Sterneninteresse geerbt hat ist Bruder Hans Wiescher.)

Paula Mangels
1880-1936

Tante Emilie hatte eine Tochter Paula. Sie war in Wirklichkeit meine Cousine, da sie aber so alt wie meine Mutter war musste ich sie Tante nennen. Nun als Kind fand ich sie merkwürdig mit ihrem stark gekräuselten Haar. Auch dass sie alles von ihrer Mutter wiederholte: 'ja, ja, Mama hat's gesagt' und dabei mit dem Kopf nickte fand ich komisch. Wir Kinder kamen schnell dahinter, dass sie nicht so war, wie die anderen Leute. Schuld hatte auch Tante Emilie, die in ihrer 40jährigen Tochter noch immer das junge Mädchen sah. Die Jugend fand das natürlich arg lächerlich. Mit der Wahrheit hielt es Tanta Paula nicht so genau, und später erfuhr ich, dass sie schon als Kind 'dat Lügenpaula' hiess. Jetzt in der Rückerinnerung meine ich, dass Tante Emilie ein schweres Los gehabt hat. Ihr Mann starb 1900 in der Irrenanstalt von Tannenhof. Ihre älteste bildhübsche Tochter Louise, Mutters Pensionsfreundin in Lausanne, war eine miserable Esserin. Cremeschnittchen mochte sie, das heisst nur den Belag davon, den Tortenboden liess sie liegen. Die Folge war, sie wurde schwindsüchtig und lebte nach dem Tode ihres kleinen Jungen (1903) nur noch in Lungenheilanstalten, wo sie 1905 starb. Die zweite Tochter Paula nicht ganz normal. Nein, das Los meiner Tante Emilie war nicht leicht. Zu allem Unglück wurde sie 1931 von einem Radfahrer angefahren und starb an den Folgen. Die zurückgebliebene Tochter Paula hat sie noch 5 Jahre überlebt. Im Alter wurde sie zuckerkrank, ein Bein musste amputiert werden und dann wurde sie noch blind, ein Jammer. Für sie war der Tod eine Erlösung.

Ludwig Mangels

Ottilde Wiescher
1860-1927

Tante Ottilde Wiescher war bei den Brüdern nicht so beliebt, denn wenn sie etwas ausgefressen hatten schritt zie zur Bestrafung und holte den gefürchteten Stock herbei. Mit dem Alter hat sich das gelegt. Bei uns war sie verständnisvoll, nett und interessant. Wir lernten diese Tante erst spät und durch Zufall kennen. Durch irgendeinen Familienzwist kam sie mit Tante Emilie nicht mehr zusammen und dadurch auch nicht mehr mit meinem Vater. Ihre erste Wohnung, die wir kennenlernten, war die in der Heckinghauserstrasse, nicht weit von Vaters Geschäft. Da wir oft bei ihr eingeladen waren und jedes Mal durch eine Kleinigkeit erfreut wurden, wie Reisedomino, Stäbchenspiel oder Märchenbuch (Mit 'Froschkönig' und 'Gänsemagd', die ich beide noch nicht kannte), liebten wir Kinder sie sehr. Nach dem Tode von Grossonkel Hermann Hogarten führte sie meinem Vater den Haushalt bis zu seiner Heirat. Dann wohnte sie alleine für sich, da sie nie heiratete.

Sie hatte wie Vater ein Vermögen von Hogarten's Seite geerbt und da sie mit Grossonkel Hermann öfters auf Reisen war und diese stets sehr genossen hatte, machte sie, wie sie alleine stand, Gesellschaftsreisen mit der Reisegesellschaft Cook wie es 1908 Sitte war. Sie war in Rom, aber trotz des Münzenwurfes in den Brunnen (Fontana di Trevi) am abend vor ihrer Abreise, ist sie vom Schicksal nicht wieder hierher zurückgeführt worden. Sie hatte, als sie jünger war, den 'Kampf um Rom' von Felix Dahn in einer Nacht durchgelesen (3 Bände). Von Rom fuhr die Gesellschaft wieter nach Pompeji und Herculaneum. Im Alter noch begeistert von der Tour, empfahl sie mir das Buch von Bulwer 'Die letzten Tage von Pompeji'. Von dieser Reise hatte sie sich eine Radierung von dem Innenhof eines römischen Hauses mitgebracht. Schon als Kind schwärmte ich für das Bild: die Blüten, der Baldachin, die spielenden Kinder am Teich.

Eine andere Reise führte sie in den Orient: Kairo, Luxor, zu den Pyramiden. Dabei erzählte sie mir zwei Erlebnisse. Sie musste damals vor dem ersten Weltkrieg auf Kamelen reiten. Das Geschaukel war ihr garnicht lieb, aber mitgefangen, mitgehangen. Das Tier wurde von einem Beduinen geführt. Alles ging gut bis sie in eine enge Dorfgasse kamen und ihnen entgegen ein Fuhrwerk. In ihrer Angst hat Tante Ottilde die Augen geschlossen und wartete auf das Totgedrücktwerden. Als sie sie nach einiger Zeit wieder öffnete war die Gefahr vorüber. Ein schlimmeres Erlebnis war beim Ausflug zu den Pyramiden. Sie wollte sich eine Erfrischung kaufen und entdeckte, dass sie ihren Geldbeutel, den sie sonst immer unter ihrem Rock trug, nicht bei sich hatte. Der ganze Genuss der Reise war dahin. Sie malte sich die Folgen in den schwärzesten Farben aus. Ganz erschöpft kam sie ins Hotel zurück. Wer beschreibt ihre Freude' Als sie am Fensterkreuz, durch eine Gardine verborgen, den vergessenen Geldbeutel unberührt vorfindet. Wie dankbar war sie dem nachlässigen Zimmermädchen. Vom Orient aus liess sie sich den geschnitzten, mit Perlmuttern eingelegten Schreibtisch mit passendem Hocker schicken. Ausserdem kaufte sie sich einen Gebetsteppich, ein Straussenei und eine Art Peitsche mit Perlen durchflochten. Diese beiden letzten Sachen hingen in ihrem Wohnzimmer auf dem Gebetsteppich.

Ihre letzte Reise war wohl die nach Tunis, Biskra usw angeregt durch den Roman von Megede 'Der Überkater'. Dann kam der erste Weltkrieg und nach ihm die Inflation und die Unmöglichkeit zu reisen, geschweige nach Schwelm die Bahn zu nehmen. Wir hatten im September 1923 verabredet nach Schwelm zu Fuss zu gehen und Leverings, geborene Wiescher zu besuchen und zurück zu fahren. Aber als Tante Ottilde hörte, dass wir pro Person neun Millionen bezahlen sollten, streikte sie und verlangte wieder zu Fuss nach Hause zu pilgern. Da ich schon am Morgen zu Fuss vom Toelleturm bis Rittershausen gelaufen war wurde mein Gesicht ellenlang. Mit Gemüse, Blumen, einem Schirm und einem Glas Brombeeren bepackt zogen wir los. Die erste Zeit gings gut, der Mond schien herrlich, die Luft war mild, aber steinig der Weg. Wir kamen ziemlich gerädert in Rittershausen an. (Ich hatte vom Toelletirm bis Schwelm und zurück bis Rittershausen 14 km zurückgelegt und war froh als ich in der Bahn zum Toelleturm sass.

Tante Ottilde hatte ein Haus in der Gewerbeschulstrasse. Unten befand sich eine Bäckerei. Da aber keine Wohnung frei war und sie niemanden heraussetzen konnte, musste sie in fremden Häusern wohnen. 1913 hatte sie eine Etage in der Bredde, bei eine Frau de Vivié und wohnte dort bis Herbst 1923. Dann zog sie nach Wupperfeld. In der Inflation bekam sie an Miete für ihr Haus in der Gewerbeschulstrasse so viel, oder besser gesagt so wenig, dass sie sich gerade ein Brot kaufen konnte. Unter diesen Umständen konnte sie das Haus nicht mehr halten. Das Haus bekam der Bäcker für einen Apfel und ein faules Ei. Glück hat ihm dieser Raub nicht gebracht. Nach der Inflation kam die Arbeitslosigkeit und damit wurde der Bäcker sein Haus wieder los. Tante Ottilde lebte in diesen schrecklichen wilden Zeiten in ihrer Wohnung. Mir tat sie leid so schleppte ich ihr von Mutter getrocknete Gemüsevorräte zu, soviel ich tragen konnte. Auf meiner Hochzeit am 11 September 1924 hat sie sich gut unterhalten und sogar mit Tante Emilie versöhnt. Arm in Arm sind sie nach Hause gegangen.

Ich sah Tante Ottile nur bei unseren jährlichen Besuchen in Barmen. Im Februar 1927 war es das letzte Mal. Der Nachmittag bei ihr war sehr nett und gemütlich, es gab herrliche Sahnesachen, die uns herrlich schmeckten. Tutti (Ina) hat bei ihrer Grosstante sehr nett gespielt. Diese erlaubte sogar der Kleinen an den guten Porzellanscharnk zu gehen. Vorsichtig nahm sie sich einen Krug und Glas heraus, hielt den Krug unter den Schlüssel und schüttete die 'erdachte' Flüssigkeit ins Glas. Dann trank sie es mit Genuss aus. Aber sie hantierte soviel mit dem Krug, so dass ich ängstlich wurde und ihr den Krug abnahm. Er war aus Kristall und Porzellan. Da er mir so gut gefiel schenkte ihn mir Tante Ottilde. Meine Grosseltern Wiescher hatten ihn zur Hochzeit am 13. März 1855 bekommen.

Kurz vor Weihnachten (8. Dezember 1927) und vor unserem Kommen starb Tante Ottilde, einsam und verlassen in ihrer Wohnung infolge Überanstrengung an einem Herzschlag. Aus ihrem Nachlass bekam mein Vater das Protät von Grossonkel Hermann Hogarten. 'Die Ähnlichkeit war unverkennbar. Mit Dankbarkeit und Freude hing ich das Gemälde in unserem Esszimmer in Friesdorf an die Wand', schreibt Vater. Ich selbst bekam von ihr den geschnitzten Schreibtisch und Hocker aus Kairo. Der Hocker steht bei mir in Madrid. Der Schreibtisch war zu unhandlich zu schicken und steht noch in Deutschland. Mutter bekam den grossen Rauchtopas von Grossmutter Wiescher, der jetzt im Jahre 1963 in meinen Besitz übergegangen ist. Den Gebetsteppich hat, soviel ich weiss, mein Bruder Klaus. Wer Straussenei und Peitsche hat, weiss ich nicht.

Ernst Wiescher
1865-1932

Mein Vater ist der jüngste der Wiescherkinder *14. August 1865. Zu Lebzeiten des Vaters als 3-4jähriger durfte er als einziger im Zimmer des Vaters sein und mit seiner Eisenbahn herumschieben, dabei bekam er Wutanfälle wenn die Wagen in die Dielenritzen gerieten und umfielen. Erst wie die Mutter 1969 Witwe war, wurde er strenger erzogen. Sie hatte ausser ihren 5 Kindern noch die Stieftochter Elise (17Jahre) und deren Vetter Adolf Vonderkron grosszuziehen. Vater soll eine sehr schöne Stimme gehabt haben, leider verlor er sie mit dem Stimmbruch. Auch sein Zeichentalent war gross. (Das Gemäldemalen entwickelte sich aber erst im Alter.) Als Schüler musste er eine Karte über 'Paulus Reisen' liefern und bekam sie mit der Bemerkung zurück: 'Es sind der Karten mehrere geliefert, aber dem Wiescher seine, ist die beste.' Ein echter Barmer, der Sprache nach.

Auch seine Haarpracht soll sehr schön gewesen sein. Er sprach sogar von Locken. Damals arbeitete man im Kontor an sehr hohen, schrägen Kontorpulten, davor man stehen musste oder auf dem Kontorschemel hocken, ähnlich dem jetzigen Barhocker. Den Schemel konnte man hoch oder niedrig schrauben, je nachdem. Über dem Pult schwebte ein offenes Gaslicht, dass wie mein Vater behauptete sehr schädlich war und ihm die Lockenpracht hinwegraffte. So ich mich entsinnen kann, kannte ich ihn nur mit sehr lichtem Haarwuchs, der zum Schluss wie eine Glatze aussah.

Als junger Mann arbeitete er in der Knopfbranche bei Firma König (Vater von Tante Ella Hogarten) in Barmen. Dabei passierte ihm bei einer Bestellung ein grosser Irrtum, er bestellte mehrere Schock Knöpfe im 5cm Durchmesser statt 5mm. Statt nachzufragen, um sicher zu gehen, führte die Firma den Auftrag aus. Das Entsetzen beim Empfang kann man sich vorstellen. Diese Kiste ist auf dem Speicher versteckt worden. Circa 30 Jahre später waren sie hochmodern. Wie es damals mit der Bezahlung geworden ist, weiss ich nicht.

Dann ging mein Vater für circa anderthalb Jahre nach Liverpool, aber ihm bekam das Klima nicht und so kam er ins Bergische Land zurück. Hier hat er sich mit Herrn Frowein zusammen eine Firma gegründet, Frowein & Wiescher, Band- und Litzenfabrik in der Heckinghauserstrasse. Sie hatten Bandstühle in der Gewerbeschulstrasse stehen. Wenn sie angestellt waren, war ein ohrenbetäubendes Getöse in dem Saal. Die Bandstühle klapperten mit ihren Webarmen, die Spulen schnurrten, die Schifflein sausten und tanzten von links nach rechts, von rechts nach links und seitwärts spieen die Stühle das fertige Band wie geringelte Schlangen aus. Vorher mussten aber die Garnbündel aufgesetzt und mit der Hand auf Spulen gedreht werden.

Da aber die Mode dem Wechsel unterworfen ist, nahm die Firma nun die Glühstrumpffabrikation für das Gaslicht auf (1885 erfunden, heute durch die Elektrizität mehr und mehr verdrängt). Nur die Engländer sind sehr konservativ und blieben lange bei dem Gasglühlicht. Juni 1914 machte mein Vater noch gute Abschlüsse. Der Krieg brachte der Firma aber durch den Ausfall der Engländer einen Stillstand im Geschäft.

Vater gewöhnte sich daran zuhause zu bleiben, den Garten zu bestellen (Gärtner wurden eingezogen), an der Hobelbank zu arbeiten oder seinem Hobby zu frönen, d.h. in Öl zu malen. Sein erstes Gemälde zeigt die Heimkehr seines Segelbootes beim Sonnenuntergang (habe ich.)

  1. Heidebilder (weiss nicht wo die geblieben sind.)
  2. Das Haus zur Klause aus Meran nach Achenbach (hat Klaus Wiescher)
  3. Kobolzellertor von Rothenburg (Wandgemälde)
  4. Das alte Haus in Bacharach (Wandgemälde)
  5. Das Schwarzwaldhaus (hat Maita)
  6. Waldbach im Winter nach F. Müller
  7. Schneisenweg im Winter 1925 (habe ich.)
    Dann fing er mit Tierbildern an
  8. Enten am Ufer nach Alexander Köster
  9. Enten im Wasser nach Franz Grässel 1928 (bei mir.)
  10. Enten im Dunklen nach Cöster (hat Ina)
  11. 2 Kühe (In den Rheingauen) nach Zügel 1930 (bei mir.)
Bilder von Ernst Wiescher
 Das Schwarzwaldhaus  Kobolzellertor von Rothenburg  Enten am Ufer  Schäfer in der Heide

Anfang des Krieges brach bei Vater die Zuckerkrankheit aus und Aufregungen während der Nachkriegszeit brachten ihm mehrere Nervenschmerzen. Aus Vaters Chronik:

`'Nichts wirkt erschlaffender und nachteiliger auf die Gesundheit und das Gemüt des Menschen als das Bewusstsein plötzlich dem 'Nichts' gegenüber zu stehen und alles Hab und Gut, das man in langen Jahren für das Alter erspart, verloren zu haben ... ab 1. Dezember 1923 wurde der Wert von 1 Billion Reichsmark gleich 1 Goldmark. So schrumpfte das Vermögen zusammen. ... Auf der anderen Seite verlor ich aber Hunderttausende in anderen Werten mit Einschluss des Vermögens Eurer Mutter ...'
Im Jahre 1927 vermieteten meine Eltern das Haus am Toelleturm an einen Juden von Tietz, die hatten damals Geld. Sie selber zogen nach Godesberg-Friesdorf in ein neu gekauftes aber kleines Häuschen. Wir haben dort noch frei unserer Ferien verbracht, Weihnachten 1928, Sommer 1930 und 1931. Dann wurde mein Vater am 20 März 1932 von seinen unaufhörlichen Schmerzen erlöst.

Die Wiescherhäuser

Hof 'an der Wiesche'

Unser erstes Haus vor Jahrhunderten befand sich 'an der Wiesche' in Wichlinghausen. Es war das typische bergische Fachwerkhaus, an der Wetterseite mit Schieferplatten beschlagen. Die Fensterrahmen weissgestrichen, mit grünen Schlagläden und Bäumen, die sich über das Dach lehnten, vervollkommeten das anmutige Bild. Erwähnt wird dieses Haus in dem Buch von Hans Brandenburg 'Vater Öllendahl' im Kapitel 'Die lange Wiesche': 'Traugott stand auf der sogenannten langen Wiesche und zeichnete in sein Skizzenbuch. Diese Wiese war eine Lieblingsstelle von ihm. Nur kleine Bauerngehöfte lagen näher und ferner verstreut, schwarz-weiss in ihrem Fachwerk und Kalk oder auch in einem schwarzgestrichenen Schieferkleid mit weissen Fensterrahmen. Grün waren die Läden, ebenso grün wurden schon die Wiesen und in diesen weidete schon einiges Vieh, schwarz-weiss wie die Höfe. Man hörte nur das dumpf zufriedene Gebrüll einer Kuh, das Krähen eine Hahnes, ein Hühnergackern. Sonst schwieg die sonnenzitternde Luft feiertäglich, auch das Rasseln der Bandstühle, die der eine und andere dieser kleinen Bauern neben seiner Landwirtschaft bediente. Das Gelände fiel mit einem schiefrigen Feldweg sanft gegen einen Bach hinunter, der die Grenze zum Westfälischen bildete und nach dem die Gegend 'die Schellenbeck' hiess und hob sich jensets wieder mit niedrigen Wäldchen. Die Hecken schlugen aus, aber die Bäume standen noch kahl, bis auf den Eichenhain im Mittelgrund über dem Wässerchen. Diese Eichen liebe Traugott vor allem. ...'

In dem Wiescherhaus ist der Barmer Bergische Dichter Emil Rittershaus 1834 geboren:

'Ein Jubelruf der Lerchenkehle,
ein Finkenruf vom kahlen Baum
trägt Dir hinein schon in die Seele
des ganzen Lenzes Wonnetraum
Halt nur nicht selbst im Wahn verriegelt
Dein Herz dem Glanze, der's erhellt
Nur wie in Deinem Blick sich spiegelt
Die Welt, so ist für Dich die Welt.'

Haus Cleferstrasse 77
links die Front-, rechts die Rückseite

Mein Vater schenkte meiner Mutter als Braut die Gedichtsammlungen von Emil Rittershaus ' 1897 in Barmen. Im Privatberuf war er Kaufmann. Das zweite uns bekannte Haus war in der Cleferstrasse 77. Das Haus wo mein Vater geboren wurde. (Aus Vater's Chronik: ... 'Unser kleines bergisches Schieferhaus, das früher frei und schön im Grünen lag, erschien nun wie angekleistert an eine Häusergruppe, die es jeden Augenblick zu erdrücken drohte. Aber es ist nicht erdrückt worden, im Gegenteil, das Haus steht heute (1929) noch, und mit seinen frisch gestrichenen weißen Fensterrahmen, seinen grünen Schlagladen, den schwarzen Schiefern und seinem spitzen Giebel grüßt es alle Vorbeigehende freundlich und einladend ... Auch befindet sich noch rechts oberhalb der Haustür jener Schiefer, in den ein national gesonnener und militärfrommer Dachdecker einen Soldaten mit Tornister und geschultertem Gewehr kunstvoll eingehauen hatte. Wir Kinder machten uns gegenseitig auf diesen Schiefer aufmerksam und betrachteten ihn als Talismann mit der vermeintlichen segenspendenden Kraft für des Hauses Glück und Wohlfahrt. ... Au dem Hause Cleferstr 77 gehörte die dahinter stehenden Färberei mit einen großen anstoßenden Garten, der sich bis zur Herzogbrücke erstreckte. ... Im Jahre 1873 stürzte unser schöner Garten, der nach der Wupperseite in eine schräge Böschung auslief, bei einer Hochwasserkatastrophe während der Nacht durch Unterspülung in den reißenden Strom. Der Anblick am folgenden Tag war einfach erschreckend. Halb Barmen kam gelaufen, um dieses verheerende Schauspiel zu besichtigen, um einer Wiederholung dieser Katastrophe vorzubeugen, ordnete die Baupolizei an, daß eine schwere Bruchsteinmauer von ein Meter Dicke an der Wupper entlang aufgerichtet und der Hohlraum dahinter durch Erdaufschüttung ausgefüllt werden müßte. ... Unser Garten wurde aber dadurch vergrößert und durch entsprechende Anpflanzungen auch verschönert. Aber das alles kostete viel Geld. Allein die Mauer wurde mit 800 Talern berechnet. ...Gegen Ende der 70er Jahre ging unser Bergisches Schieferhaus mit der dahinterliegenden Färberei durch Kauf in den Besitz eines Herrn Hermann Hessler (Färbermeister) über.' Dieses Bergische Haus ist in der Bombennacht des Zweiten Weltkrieges am 29/30 Mai 1943 dem Erdboden gleich gemacht worden.

Haus Obere Lichtenplatzer Strasse 234
links die Front-, rechts die Rückseite

Unser Haus am Toelleturm, Obere Lichtenplatzer Strasse 234 war auf einem wunderschönen Grundstück am Kothener Waldrand gelegen. Da das Grundstück sehr steil war mussten wir zwei Etagenkeller haben. Im tiefsten Keller war die enorme Heizung und der Kohlenkeller. Im oberen Keller war der Waschkeller und der Obstkeller. Die Wände waren 1m dick nach Bauvorschrft, dadurch blieben sie in der Bombennacht 1943 stehen. Im Erdgeschoss kam man in die Diele wo auch meine Haustrauung am 11. September 1924 im Erker stattfand. Die Diele war in Pitchpine getäfelt und hatte eine Sitzecke mit einer Eckbank mit hoher Lehne, vor der auf klotzigen Füssen der rechteckige mächtige eichene Tisch stand. In der mädchenlosen Zeit (1920) haben wir dort gegessen. Über der Bank hatte Vater die beiden Wände mit Wandgemälden geschmückt. Die Heizung war versteckt in einem schweren Meissener Marmorkamin gekauft aus einem abgebrochenen Bergischen Haus. Drei schwere Türen führten in die benachbarten Zimmer.

Hochzeit Grete Wiescher/Walter Stursberg
11.Sep.1924

Man kam in den Salon, wo mein Klavier stand, das ich während meiner Konservatoriumszeit stundenlang bearbeiten musste. Hier sassen wir auch am Heiligen Abend, wartend auf die Bescherung und sangen unsere Weihnachtslieder. Auch hier gab es einen weissen Marmorkamin. Schiebetüren schlossen das Zimmer zum Esszimmer ab.s Dieses war sehr gross, war auch wieder getäfelt wie die Diele und hatte einen schwarzen Kamin. Mutter's eichenen Esszimmermöbelmochte ich weniger. Sie waren solide und kräftig, wie es eben 1900 modern war. Grossmutter Behnke's Büffet mochte ich viel lieber. Wir bekamen es 1916. Es war aus Mahagoni, mit Ebenholzschnitzereien und einer weissen Marmorplatte. Bei uns stand immer die silberne Obstplatte darauf, die Grossvater Behnke zum 50jährigen Jubiläum bekam. Zwischen Esszimmer und Veranda gab es keine Türen sondern zwei kleine Schränke mit zwei dicken Holzstreben. Man kam so direkt in die Veranda wo Mutter ihre Pflanzen stehen hatte. Weihnachten stand hier der Tannenbaum in einer Ecke. Für uns Kinder war hier aufgebaut auf drei Tischen während die Eltern ihre Geschenke auf den zwei kleinen Schränken aufbauten. Lebhaft in Erinnerung ist mir noch das Weihnachten, wo ich einen Puppenschrank bekam und dazu ein Baby mit der ganzen Babyaustattung. Oder ein anderes Weihnachten (1914). Ich hatte mir einen Mahagonisekretär von meiner Grossmutter Behnke gewünscht, der bei ihr auf dem Speicher stand. Wie entäuscht war ich aber, als ich einen modernen weissen Jungmädchenschreibtisch bekam. Statt Freude setzte es grosse Tränen.

Grete Wiescher vor dem Haus
Obere Lichtenplatzstrasse

Als besonderes hatte die Veranda ein wunderschönes Butzenscheibenfenster in Schmetterlingsmuster. Die Veranda war getäfelt und hatte Wandgemälde von Vater. Von der Veranda hatte man einen herrlichen Blick auf den Kothen, die Stadt im Tal und auf den gegenüberliegenden Berg, die Hardt.
Im ersten Stock waren die Schlafzimmer meiner Elterns und Brüder, das Spielzimmer, Badezimmer und unser Arbeitszimmer mit grossem Balkon. In diesem Zimmer gab es wieder einen schwarzen Marmorkamin. Daneben hing das Bild der Kaiserproklamation von Versailles am 18. Januar 1871 über dem Sofa. Mein Vater hat es von Onkel Hermann Hogarten geerbt, der es zu seinem 50jährigen Jubiläum von der Barmer Firma Molineus bekam. Mutter hat es 1940 bei ihrem Umzug in die Schwartnerstrasse 21 der Schule am Lichtenplatz geschenkt, aber in der Bombennacht 29/30 Mai 1943 wurde die Schule getroffen. Vor dem Fenster stand Mutter's Nähtisch mit dem 'Luthersessel' aus Grosseltern Behnke's Haus, den sie 1886 zur silbernen Hochzeit bekamen. Diese Sessel stammen aus dem Luther Jahrhundert und haben eine feste Polsterung. Die Armlehnenstützen und Rückenlehnenstützen enden mit Tierköpfen.
Auf halber Höhe zum zweiten Stock gab es einen Podest und dort stand die alte Truhe von Hinric Luckense anno 1698. (J.F. Suck *1781 war mit Anna Ilsabe Baecker *1785 verheiratet und deren Mutter war eine geborene Lütjensee.) Allerdings erzählte meine Mutter immer, diese Truhe hätte bei Tante Rebecca Graumann geb. Steinwärder gestanden, aber da die Truhe aus der Familie Behnke stammt hat meine Grossmutter sie wahrscheinlich ihrer Schwester leihweise überlassen.

Rebecca Graumann geb. Steinwärder
Grossmutter war sehr gutmütig, freigiebig und hilfsbereit. Im Jahre 1924 in meiner Brautzeit war sie meine Aussteuertruhe, in der ich meine Wäsche, Decken, Kristall und Silberschätze verwahrte. Zum Umzug nach Spanien war sie zu schwer und unhandlich, deshalb blieb sie in Barmen und jetzt steht sie im Hause meines Bruders Klaus Wiescher. Unsere Truhe war aus Eiche und hatte einen gewölbten Deckel und ein schweres grosses Schloss, dazu gehörte ein riesiger Schlüssel von circa 20cm Länge. Natürlich war der Schlüsselbart enorm. Wenn man aufschloss musste man den Deckel mit einem eichenen Stab ' der seitlich in der Truhe angebracht war ' stützen, da man sonst Gefahr lief, von dem eisernen Deckelhacken und der Schwere des Deckels erschlagen zu werden. Linker Hand war in der ganzen Länge angebracht ein Kasten zum Aufbewahren von Kleinigkeiten. In der Franzosenzeit erlebte meine Urgrossmutter Greth Liese Melchert *1800 in Rieps Amt Schönberg (Fürstentum Ratzenburg in Mecklenburg Strelitz) ein schauriges Drama. Es muss um 1813 gewesen sein. Fritz Reuter schreibt in seinem 'Ut de Franzosentid, as dat Takeltug (Gesindel), de Franzosen, ut Russland t'rugg kamen ...' Also der Feind hatte im Dorf geplündert , nun war er weg und man konnte aufatmen. Da huschte die Greth Lise zur Nachbarin (vermutlich Anna Ilsabe Baecker, geb. Suck), um sie etwas zu fragen. Während das Kind durch das Fenster spähte sieht sie wie ein Franzose die Truhe ausräumt und den Geldbeutel findet. (Meine Mutter nannte ihn die Geldkatze.) Die Nachbarin lässt vor Verzweiflung den Truhendeckel fallen und tötet damit den Franzosen. Erst dann bemerkt sie das Kind. Sie zwingt es mit ihrer Hilfe den Franzosen im Stall zu verscharren und lässt das Kind schwören nie etwas davon zu erzählen. Das hat Greth Lise auch gehalten bis zum Tode der Nachbarin. Sie heiratete 1825 Hans Matthias Steinwärder (1802-1864) und sie waren die Eltern meiner Grossmutter Margaretha Behnke geb. Steinwärder.

Haus in Godesberg-Friesdorf
Im zweiten Stockwerk unter dem Fachwerkgiebel war mein Schlafzimmer, das ich vom ersten Tag unseres Einzuges bewohnte. Ausserdem gab es noch das Fremdenzimmer, das Mädchenzimmer und das Mangelzimmer wo die Wäsche gelegt und gemangelt wurde. Danach wurde sie in dem dreiteiligen Schrank aufbewahrt. Diesen hat mein Vater 1905 aus einem alten Patrizierhaus gekauft. Er war sehr gross und sehr geräumig. Deshalb liess ihn Mutter 1940 als sie das Haus verkaufte zu einem Bücherschrank umarbeiten. Über dem zweiten Stock gab es dann noch den Speicher zum Wäschetrocknen ('Oller' sagten wir.) 1927 wurde das Haus vermietet und meine Eltern kauften sich ein kleines Häuschen in Godesberg-Friesdorf, als aber Vater am 20 März 1932 starb, zog Mutter wieder nach Barmen zurück und bewohnte es bis 1940, dann wurde es verkauft und in der Bombennacht 29/20 Mai 1943 zerstört und ausgebrannt. Die Mauern blieben allerdings stehen. Es wurde zwar wieder aufgebaut aber ohne den zweiten Stock und ohne den Fachwerkgiebel. Für meine Begriffe sieht es scheusslich aus.

Hamburger Verwandte

Nun verlassen wir das Rheinland und kommen nach Norddeutschland, der Heimat meiner Mutter: nach Billwärder an der Bille, zugehörig zu Hamburg. Der letzte Stadtteil von Hamburg war damals Horn, wie schon der Name der letzten Strassenbahnstelle besagte 'letzter Heller'. Von dort ging eine Landstrasse mit alten prächtigen Bäumen bewachsen nach Billwärder. Links der Strasse zog sich ein Wassergraben hin worauf Entengrütze wuchs und Mutter Ente ihre Kücken dieses Zeug fressen liess. Diese Landstrasse, Brückenweg genannt, war meiner Mutter ein Dorn im Auge, denn dort meinte sie hätten sich ihre Brüder den Keim zu ihrem frühen Tod geholt. Im Winter pfiff der Wind so stark, dass man glaubte keinen Mantel anzuhaben. Onkel Gustav kam jeden abend erst um 10:00 aus der Lehre müde und abgespannt, dazu die Kälte oder Feuchtigkeit. Als er sich einmal bei seinem Vater beklagte, dass er auch Samstags so spät arbeiten musste sagte Grossvater nur: 'Lehrjahre sind keine Herrenjahre.' Auch der kleinere, zartere Ludwig wurde auf dem Schulweg von dem Wind gepackt, durchgerüttelt und kam ganz erfroren heim. Es war dann kein Wunder, dass er leicht erkältet war. Nur dem dicken, stabilen Adolph machte weder der Wind noch die Kälte was aus. Die Landstrasse führte über die blaue Brücke. Fünf Brücken spannten sich über die Bille. Je nach der Farbe des Brückengeländers hiessen sie die schwarze, grüne, blaue und rote Brücke. Kurz vor der blauen Brücke begann Billwärder an der Bille und zog sich nach circa zweieinhalb Meilen ungefähr 18km am Billdeich entlang bis nach Bergedorf hin. Billwärder gehörte zu den fruchtbarsten Gebieten der Stadt Hamburg. Von hier bezogen sie ihr Gemüse und Obst. Die Bewohner des Ortes waren freie Bauern auf eigener Scholle.

Im 18ten Jahrhundert und Anfang des 19ten Jahrhunderts wurde es Sitte, dass reiche Hamburger an der Bille ihre Landhäuser bauten, um den Sommer dort zu verbringen. Gleich das erste Haus ' der blauen Brücke gegenüber ' hiess Treeles Landhaus, später Billwärder Park. Es war ein altes Patrizierhaus, 1727 erbaut, mit prächtigen Stuckarbeiten an den Plafonds, einem Deckengemälde und einer mächtigen Treppe mit kunstvollen Schnitzereien. Alles erinnerte an verschwundene Tage voll Pracht und Herrlichkeit. Zu meiner Kinderzeit 1910 war es ein besuchter Ausflugsort der Hamburger. Ein anderes Landhaus wurde Tippenhauer Haus genannt nach seinem Wirt. Der kaufte es 1820 von einem Teehändler. 1862 feierten meine Grosseltern Behnke dort ihre Hochzeit. Dann hörte der Wirtschaftsbetrieb auf und Freunde von Grossvater, Direktor Walkopf und Familie wohnten dort. Der im französischen Stil ausgelegte Garten enthielt einen von Schwänen belebten Teich, zwei italienische Marmorgruppen und eine Alee von Ulmen. Diese schnellwüchsigen und schönlaubigen Bäume. Ein drittes herrschaftliches Haus gehörte einem Fräulein von Horn. Als sie starb und ihr Besitztum versteigert wurde erstand Grossmutter Behnke unter anderem zwei rote Likörflaschen aus Kristall mit den dasugehörigen Gläsern (nur die Flasche existiert noch) und eine entzückende Wachspuppe , deren Körper und Finger so fein nachgebildet waren, dass man dadurch sehen konnte. Die Puppe war ein Schaustück für die Vitrine aber leider spielte meine Mutter damit und sie fiel ihr hin und war entzwei.

Familienbild Behnke
um 1882

Die schreckliche Zeit der Franzosenherrschaft machte dem idyllischen schöngeistigem Treiben in den Billwärder Landhäusern ein Ende. Im Jahre 1813, als nach dem unglücklichen Verlauf des russischen Feldzuges eine Belagerung Hamburs durch dei Verbündeten bevorstand, befahl Davôut, die Häuser und Bäume im weiten Umkreise um die Stadt zu zerstören und abzuhauen. Dies erstreckte sich bis an die Kirche in Hamm und in Billwärder bis an die grüne Brücke sBullenhuser Schleusenhaus). Dann kam der Befehl sich zu verproviantieren. Durch Haussuchungen stellte man fest ob dem Folge geleistet war. Wer nicht für sechs Monate Lebensmittel hatte musste die Stadt verlassen. In der Weihnachtsnacht 1813 wurden unbarmherzig 1800 Menschen aus den Betten getrieben und vor die Stadttore geschickt. Meine Mutter erzählte: Männer und Frauen mit Kindern wurden sogar getrennt durch verschiedene Tore getrieben. Den Jammer kann man sich nicht vorstellen und eine Mutter mit vielen Kindern war nicht fähig sie alleine in der Dunkelheit zusammen zu halten. So verloren Kinder ihren einzigen Halt. Auf diese Weise kam ein 12jähriger Junge halbverfroren auf dem Bauernhof Steinwärder an. Durch die Angst, Schrecken und Kälte wurde er sehr krank und als er gesund war hatte er seinen Namen vergessen. Seine Eltern und Geschwister sah er nie wieder und ist als alter Mann in Billwärder gestorben. Die Vertriebenen fanden Aufnahme bei den Leuten in Altona und Billwärder, aber viele dieser Unglücklichen sind durch Kälte, Hunger und ansteckende Seuchen umgekommen. In Altona starben allein 1138 Hamburger. Als endlich die Fremdherrschaft am 26. Mai 1814 ein Ende gefunden hatte stellte man fest, dass die Landschaft Billwärder völlig verarmt war. Ein grosser Teil der Wohnhäuser und Ställe lag in Schutt, etwa noch vorhandenes Hausgerät war durch die lange Einquartierung meist völlig verdorben. Die Felder waren versumpft, da die Franzosen, um die Russen aufzuhalten, die Schleusen zur Flutzeit öffneten und zur Ebbezeit schlossen. Ganz Billwärder war dadurch bis Bergedorf hin zu einem Überschwemmungsgebiet geworden. Im strengen Winter 1813/14 bedeckte sich dieses Gebiet mit starkem Eis. Erst im Mai 1914 durften auf Befehl der Franzosen die Schleusen geöffnet werden, um das Wasser abfliessen zu lassen. Es dauerte aber bis Ende Juni 1814 bis die Landschaft völlig wasserfrei war. März 1815 wurde in Hamburg eine Sammlung veranstaltet für die durch Davôut's Verwüstungen gelitten habenden Bauern. Die dringendste Not konnte so gesteuert werden, aber erst nach zwanzig Jahren kamen die Bauern, wenn auch nicht zu dem alten Wohlstand, so doch wieder zu leidlichen Lebensverhältnissen.

Nach der Franzosenzeit wurden viele Landhäuser der Städter verkauft und wechselten den Besitzer. Die günstige Lage von Billwärder mit der schiffbaren Bille zog die Industrie heran. Grundstücke an der Bille wurden durch Geschäftsleute erworben. So entstanden am Billeufer mehr und mehr Fabriken, wie die chemische Fabrick von Hell & Sthamer wo mein Grossvater Behnke 50 Jahre gearbeitet hat, erst als Lehrjunge und später als Direktor. 1899 feierte er sein 50jähriges Jubiläum.

An der Landstrasse Nr. 28 lag das Geburtshaus meiner Mutter mit Garten. Im Hintergrund befand sich die Fabrik. Mutter erzählte immer, dass sie nie durch das Maschinengeräusch geweckt wurde, wohl aber wenn die Maschinen zum Sonntag stillgelegt wurden wachte sie auf.

Meine Grosseltern heirateten 1861 und bekamen 3 Jungens und ein Mädel. Zuerst Gustav 1862, dann nach vier Jahren Adolph 1866 und zwei Jahre später Ludwig 1868. Als Nesthäckchen kam erst elf Jahre später (1879) meine Mutter Alma zur Welt.

Aus der Kinderzeit wusste Mutter nicht sehr viel zu erzählen: Eimla war sie mit der Kindrfrau abends aleine zu Hause geblieben. Als die Grosseltern wiederkamen, roch das ganze Haus nach Gas, Grossvater eilte ins Kinderzimmer und fand meine Mutter ruhig schlafend vor. Die Kinderfrau zur Rede gestellt sagte: " Wat henne ick för Arbeit hettüm data Gas uttupusten", zu der Zeit gabe es nur offenen Gasflammen. Oder Mutter spielte mit den Arbeiterkindern. Ihre neue Schärpe fand allgemeinen Beifall. In ihrer Gutmütigkeit schnitt Mutter die Schärpe halb durch, denn ganz durfte sie sie nicht verschenken; das wusste sie ganz genau. Trotz dieser Einsicht bezog sie Prügel.

Eine andere Geschichte geschah als sie wohl erst drei Jahre alt war. Sie spielte still und vergnügt auf dem Sofa, von der Kinderfrau beobachtet. Da kamen Adolph und Ludwig herein und hielten die Hand auf dem Rücken. "Guck mal, Alma, was wir dir von der Kirmes mitgebracht haben" und hielten ihr eine hübsche Puppe hin. Als sie danach greifen wollte wurde die Puppe plötzlich ellenlang. Vor Entsetzen raste sie ans andere Ende des Sofas. Die Jungens bogen sich vor lachen und verstanden die furchtbare Angst des Kindes nicht. Mutter lief immer hin und her und schrie gellend denn sie wusste, wenn sie ihr Vater hörte war sie von ihrer Angst befreit. Die Jungens verzogen sich schleunigst mit ihrem Spielzeug. (Das Spielzeug war eine Nürnberger Scherenpuppe. Als Körper hatte sie flache Holzstäbchen, die durch die Schere bis zu 75 cm auseinandergezogen werden konnte. Das geraffte Kleid wuchs mit und verbarg den Mechanismus.

Als Mutter sieben Jahre alt war feierten ihre Eltern (1886) die silberne Hochzeit. Zu dieser Feier bekamen die Grosseltern viele Geschenke:

  1. eine geschnitzte Wanduhr (seit 1924 in meinem Besitz)
  2. zwei silberne Gebäckkörbe (einer bei mir und einer bei Maita)
  3. einen silbernen Pokal, innen vergoldet (hat 1934 Bruder Hans zur Hochzeit bekommen und ist jetzt in Berlin)
  4. zwei handgemalte Porzellandeckelvasen (eine bei Prof. Dr.Dr.Heinz Behnke in Münster; die zweite bei mir in Madrid)
  5. zwei Lutherstühle (einer bei Heinz Behnke in Münster und der zweite bei meinem Bruder Klaus in Wuppertal.
Gustav Behnke
Gustav Behnke, 1867-1888 Als Onkel Gustav zum Militärdienst eingezogen war, wurde er ärztlich untersucht und wegen Paragraph so und so zurückgestellt. Grossmutter lies den Hausarzt kommen, um ihn nach dem bewussten Paragraphen auszufragen: Schwindsucht? So ein Unsinn bei dem Brustkasten!" Die Grosseltern liessen sich dadurch beruhigen und Onkel Gustav wurde nach England geschickt um sein Englisch und seine Kenntnisse zu vervollkommnen. 1887 kam er zurück und brachte für alle Geschenke mit. Er hatte es sich vom Munde abgespart.

Mutter bekam ein wunderschönes Körbchen und Grossvater einen grossen Barometer aus Ebenholz geschnitzt. - 1916 erbte ihn meine Mutter und wir bekamen ihn 1924 zur Aussteuer; Weihnachten 1950 erhielt ihn Herbert (Ina's Mann.) Leider ist er 1957 in Canada bei dem Hausbrand auf der Farm "La Petite Riviere" mit vielen anderen Sachen verbrannt.

Onkel Gustav sah elend aus, das feuchte, englische Klima und die Fabrikdünste waren ihm schlecht bekommen. Die Schwindsucht hatte Fortschritte gemacht. In seiner Angst liess Grossvater einen berühmten Professor aus Berlin kommen. Der untersuchte Onklel Gustav. Hier war aber alle Mühe und Sorge umsonst. - Nebenan hörte man Onkel Ludwig husten, "da haben Sie ja noch einen Kranken!" - "Nein!" sagte meine Grossmutter, das ist unser Jüngster, der ist nur erkältet". "Lassen Sie ihn mich mal sehen", sagte der Arzt kurz. Nach der Untersuchung des Neuzehnjährigen meinter er: "Wenn Sie diesen Jungen retten wollen, schicken Sie ihn ein Jahr zur See." Damit konnte sich Grossmutter nicht einverstanden erklären, den Jungen so lange Zeit und so weit weg zu geben.

Adolph Behnke
Adolph Behnke, 1865-1943 Dreissig Jahre später (1917) hatte ihr Sohn Adolph auch ein schweres Problem. Sein ältester Sohn Heinz, der Mathematiker, war schon im Krieg, aber ziemlich gesichert. Er musste die Entfernungen des Granatenschiessens der Kanonen berechnen. Nun sollte sein jüngster, Werner (*1900) eingezogen werden. Um ihn mit aller Macht zu retten gaben die Eltern ihn auf die Werft von Blohm & Voss. Dort war wohl sein Leben gerettet worden, aber seine Seele hat darunter gelitten. Auf der Werft arbeitete damals nur Gesindel, die ordentlichen Arbeiter waren im Krieg. Zweimal sind Eltern vor die Lebensfrage gestellt worden und jedes Mal haben sie falsch entschieden. Behüte einen der liebe Gott vor solchen Gewissensfragen!

Nach dieser Abschweifung zurück zu Onkel Gustav. Der Besuch des berühmten Arztes war also umsonst gewesen, der Älteste hoffnungslos und der Jüngste auch der Krankheit verfallen. Schon am 21. Januar 1888 starb Onkel Gustav. Ludwig blieb daheim. Nach Absolvierung der Schule fing er sein Studium in Bad Canstatt bei Stuttgart an. Zwischendurch machte er mit Grossmutter und Mutter Reisen zur Erholung. Bekannt ist mir die Reise nach Graal und 1890 nach Ems. Er wurde aber kränker, kehrte von Tübingen zurück nach Hamburg, da er bettlägerig wurde. Kurz vor seinem Tode kam ein Korpsstudent und verlangte von ihm "Mütze und Band" zurück. Dadurch wurde ihm bewusst, dass er sterben musste. Mutter war dabei, als das passierte und fühlte den tiefen Schmerz des Bruders mit. Sie leistete ihm viel Gesellschaft während seiner Krankheit. Bruder Adolph indessen steckte nur die Nase zur Tür hinein und winkte Mutter zu herauszukommen. "Was will Adolph eigentlich?" fragte Ludwig müde. "Ach er hat wieder Dummheiten im Kopf," sagte Mutter ausweichend.

Ludwig Behnke
Ludwig Behnke, 1868-1894 Am 18.2. 1894 wurde Mutter in der Martinskirche von Horn von Pastor Schetelig konfirmiert, der sie später (16.5.1900) auch traute und mich am 27. 7. 1901 taufte. Sonst wurde von dem Festtag wenig Notiz genommen da es mit Ludwig sichtlich zu Ende ging. Nur ihre Tante Kahler brachte ihr eine Tüte "Bolsches" mit. Vier Tage später, am 22.3. starb der zweite Sohn an Schwindsucht. Grossmutter's Schmerz war gross und sie konnte es schwer verwinden zwei erwachsenen Söhne verloren zu haben. Sieben Jahre hatte sie nur Kummer und Sorgen gehabt und sich nur um die Kranken bemüht. Jetzt zeigten sich die Folgen, dass das Ehepaar sich auseinander gelebt hatte.

Da Mutter an zu hüsteln anfing, wurde sie kurz entschlossen aus der Schule genommen und nach der Schweiz an die Pension der Jeunes Filles von Madame Steiner gebracht (Lausanne am Genfer See). Dort blieb Mutter ein Jahr bis Anfang Mai 1895. Sie lernte dort Luise Mangels aus Barmen kennen und durch diese ihren späteren Mann. Eine andere Freundin war Mimi Bohmeyer aus Halle (geb. 1877 und gest. ca 1951 in Itzehoe). Beide sind bis zum Ende ihres Lebens befreundet gewesen. Sie war öfters bei uns zu Besuch. Ich habe sie 1919 in Halle besucht auf der Durchreise nach der Frauenschule Molchow. Mutter erbte von Tante Mimi Bohmeyer einen Anhänger aus Diamanten; 1959, als Mutter in Canada war, liess sie ihn Ina als Geschenk zurück.

links Alma Behnke mit Luise Mangels, mitte mit Mimi Bohmeyer, rechts Madame Steiner
Luise Mangels und Alma Behnke, Lausanne, Weihnacht 1894 Mimi Bohmeyer und Alma Behnke, 1898 M.Steiner, 1897

Die Grosseltern holten Ende April ihre Tochter Alma ab, um mit ihr eine Italienreise zu machen. So konnte Alma gleich ihr gelerntes Französisch und Italienisch verwerten. Auf einem Umsteigebahnhof musste Grossmutter mal verschwinden und Alma sollte nach der Toilette fragen. Nun wollte es das Unglück, dass sie diesen Ort in der Pension nur deutsch bezeichnet hatten. Mit allen Umschreibungen kam sie nicht weiter. Das Mädel behauptete immer: "Je ne comprends pa, Mademoiselles!" Mutter brach schon der Angstschweiss aus, als das Mädchen endlich verstand" "Ah! Mademoiselle vent aller an cabinet d`aisauce? Voila!" Und mit einer vornehmen Geste zeigte sie den Weg.

Die Reise ging am Genfer See entlang nach Montreux, Chateau de Chillon, Bellinzona nach Lugano am See des gleichen Namens. Dort wohnten die Grosseltern in einem deutsch geführten Hotel. Von Lugano fuhren sie nach Mailand. Dort wurden der Dom und die anderen Kirchen besichtigt. Nach einigen Tagen fand Mutter alle Kirchen gleich: dunkel, kalt, sehr hochgestochen, viele Altäre und Heiligenbilder und vor dem Kirchenportal viele missgestaltete Bettler. Kaum kamen sie aus der Kirche, stürzten sich diese auf sie wie lästige Fliegen. Grossvater trug in weiser Voraussicht das Kleingeld lose in der Hosentasche.

Der Abstecher von Mailand nach Certosa de Pavia wurde natürlich gemacht. Aber Mutter war wohl zu der Zeit noch zu jung (16 Jahre) um die Schönheiten der Natur zu geniessen und in der Kunst zu schwelgen. Wenigstens wusste sie mir wenig von den Eindrücken zu erzählen. Nur von den Unannehmlichkeiten: hier die Mückenplage, dort der Regen, der sie zwang jeden abend, wenn sie schon hundemüde war, den heraushängenden Futtersaum ihres Wollrockes zu verkürzen. Der Rock war wahrscheinlich nicht dekadiert worden und bei der Feuchtigkeit zog er sich täglich zusammen. Mir tut es jetzt noch leid, dass ich nicht an Mutters Stelle war, ich hätte die Reise genossen, mit oder ohne Regen. Aber wir waren in der Schule auch sehr gut in Kunstgeschichte bewandert. Über Genua und die Riviera wurde dann die Heimreise angetreten.

Mimi Hevers
Mimi Hevers und Adolph Behnke Mutter war nun wieder in Hamburg, um ihre Stunden auszufüllen besuchte sie eine Kochschule und hatte Gesang- und Malstunden. Am 9. November 1895 feierten die Grosseltern die Hochzeit ihres einzigen Sohnes Adolph mit Hermine (Mimi) Hevers (geb. 1873).

Im selben Winter bekam Mutter Tanzstunde mit Mittelball und Schlussball, Tanzkarten, Kotillouorden etc. Sie tanzte sehr gerne und gut und hatte es als Kind schon mit den Brüdern versucht. Auch Maskenbälle machte sie mit, einmal als Spanierin (weisse Seide und hellblauer Samt) und einmal als Türkin (gelbe Seide). Dieses Kostüm existierte noch zu meiner Jungmädchenzeit. Und als ich das Buch: Arethusa, Sklavin von Byzanz von Crairford las, zog ich das Kleid an und fühlte mich ganz in die Zeit zurückversetzt.

In den folgenden Jahren war Mutter öfters bei den Freundinen in Barmen und Halle. Am 2. 1897 machte sie einen Studentenball in Halle mit. Tante Mimi Bohmeyer hatte zwei Brüder, die Studenten waren. 1898 war sie in Barmen zur Hochzeit ihrer Freundin Luise, der Nichte meines Vaters.

Grossvater Behnke heiratete im Jahre 1861 in der Billwärder Kirche St. Nicolai, wo schon alle seine Vorfahren und die seiner Frau getauft, getraut, und begraben waren. Grossvater war von Statur sehr gross und hatte einen mächtigen Brustkasten. Seine Handschuhnummer hing draussen vor dem Laden (Zunftschild der Handschuhmacher). Grossvater hatte blondes gewelltes Haar, blaue Augen und eine rosige Gesichtsfarbe. Das Schönste an ihm war für meine Mutter sein Vollbart. Grossvater war musikalisch und spielte die Flöte. Er war Mitglied der Liedertafel "Blaue Brücke". Die Musikliebe hat er seinen Nachkommen weitergegeben. Für Mathematik und Chemie war er sehr begabt. Die erstere hat er seinen Enkeln weiter vererbt: Professor Dr. Dr. Heinz Behnke jetzt in Münster, meinem Bruder Hans Wiescher, jetzt in Berlin, seinem Urenkel Hans Walter Stursberg-Wiescher, meinem Sohn und Alma's Enkel.

Zur Erleichterung für den Haushalt seiner Frau erfand er eine Waschmachine, in Art einer Wiege für die Wäsche, die er durch Riemen mit den Maschinen in der Fabrik verband. Auf diese Art und Weise wurde die Wäsche Tag und Nacht geschaukelt und sauber. Als der Krieg 1870 ausbrach konnte er sich vom Militärdienst freikaufen, da er im Geschäft unentbehrlich war. Damals erfand er die Formel Salpeter aus der Luft zu ziehen. Damit machte die Chemische Fabrik in Billwärder grosse Geschäfte. Seine Erfindungen liess Grossvater patentieren: z.B. Patentschrift Nr. 76.130 "Verfahren und Aparat zur Gewinnung reiner Kohlensäure aus Feuerungs- und Ofengasen" und eine andere, die ich Herbert Bischoff gegeben habe.

Als er wieder einmal eine Erfindung gemacht hatte und sie in den nächsten Tagen anmelden wollte, sprach er mir einem "Guten" Freund darüber, der auch sehr daran interessiert war. Als Grossvater dann die Erfindung patentieren wollte, hiess es, dass eben dieser Freund mit kleinen Änderungen diese Erfindung angemeldet hatte. Noch eine grosse Entäuschung erlebte er mit einem Verwandten, der in derselben Firma jahrelang arbeitete und, als er austrat einer Konkurrenzfirma ein Geschäftsgeheimnis verriet. Grossvater brach den Verkehr mit dem Verwandten sofort ab. In seinen Augen gab es darin kein Pardon. Nur als in der Familie ein Trauerfall war schickte er Frau und Tochter zur Beerdigung.

Als Vater war er sehr streng mit seinen drei Jungens, besonders mit seinem Ältesten. Mit Adolph hatte er weniger Erfolg, der wuchs in Ungebundenheit auf: die Klavierlehrerin war gekommen um ihre Stunden zu geben und Adolph war nicht aufzutreiben, er wurde überall gesucht. Endlich entdeckte ihn der alte Kröger auf der Schornsteinspitze. Übrigens hörte ich als junges Mädchen eines Sonntags morgens Onkel Adolph in seinem Haus Harmonium spielen; seine Choräle beeindruckten mich sehr und ich merkte dass er doch etwas in seiner Jugend gelernt hatte.

Grossvater kaufte sich von seinem ersten Gehalt ein grosses Domino mit Elfenbeinplättchen. Es ging bis 9x9. Von Mutter bekamen wir es zum Anfang unserer Ehe geschenkt. Nach dem Bürgerkrieg hier fand ich es dann noch vor. Wir reisten Ende Juli 1939 nach Deutschland, um unsere Ferien dort zu verbringen und Ina abzuholen und wurden dann vom Zweiten Weltkrieg überrascht. Als wir Mitte Oktober wieder nach Madrid kamen war das Domino spurlos verschwunden. Anscheinend hat es mein Mädchen verkauft. Damals verschwanden mehrere Sachen. Vielleicht war sie in Not den wir waren anderthalb Monate im ganzen fortgeblieben.

Grossvater war ein Freund von schönen Büchern. Er kaufte Prachtausgaben. So habe ich:

  1. Hauffs Werke, 2 Bände
  2. Johann Heinrich Voss: Luise (den Gegenband von Goethe: Hermann und Dorothea hat Bruder Klaus)
  3. von Ludwig Ganghofer: Der Klosterjäger
  4. von Oliver Goldsmith: Landprediger von Wakefield, illustriert von Ludwig Richter
  5. Mutter bekam von ihm in der Pension von Lausanne den Prachtband von Malot: "En Famille" (jetzt im Besitz von Ina).
Reisen war das grösste Vergnügen meines Grossvaters. Er fuhr mit seiner Frau nach Süddeutschland, sie sahen Nürnberg und kamen nach Berchtesgaden, wo sie unter anderem das Salzbergwerk besichtigten, genau wie wir 1920. Hier mussten die Grosseltern Oberkleider ablegen, da sie sonst Schaden leiden. Sie bekamen weisse Pumphosen an, eine schwarze Jacke, einen Lederschutz zur Schonung der Hosen, und eine blaue Zipfelmütze. Grossmutter, die schon etwas dicklich war, sah noch dicker in den Pumphosen aus. Zum Glück sahen die anderen Leute nicht viel besser aus. Mit einem Wägelchen fuhren sie durch den dunklen Stollen, der hin und wieder durch ein Licht erhellt war. Nach einiger Zeit kamen sie auf einen freien Platz, der von einem Gitter eingefasst war, von dort ging es per Rutschbahn in die Tiefe. Einer musste sich hinter den anderen setzen und seine Arme um des Vordermannes Taille schlingen. Grossmutter erzählte, ihr Vordermann sei so ein schmetteriges Kerlchen gewesen, der sich mit Wonne an ihre Brust gelehnt hätte, wie als wolle er Schutz suchen. Wie wir 1920 auf derselben Rutschbahn herunterrutschten, glaubte ich wir würden direkt in einem unterirdischen Salzsee landen. Aber es war zum Glück nur eine optische Täuschung.

Eine andere Fahrt führte sie in die sächsische Schweiz nach dem Kuhstall (Felsentor bei Lichterhain). Grossvater schreibt, dass die Bauern im 30 jährigen Krieg ihr Vieh dort versteckt hätten und dass sie einen Führer hatten weiter marschieren nach der Bastei. Ein anderes Mal fuhr er alleine nach Bad Schandau und wollte in Dresden übernachten. Beinahe hätte er kein Logis bekommen wegen einer landwirtschaftlichen Ausstellung.

Die Italienreise habe ich schon erwähnt. Dann besuchte er mit seiner Frau auch Ungarn. Dort wollte Grossmutter unbedingt Gulasch essen. Grossvater warnte sie, aber sie blieb dabei, man müsse es im Lande essen. Als das Gericht kam war es so gepfeffert, dass einem die Flamen zu Hals herausschlugen. Grossmutter würgte und würgte, spülte den Mund mit Wein, alles nützte nichts. Es brannte wie Feuer, aber sie wagte es nicht das Gericht stehen zu lassen. Endlich hatte Grossvater Erbarmen mit ihr, sie durfte das Gericht stehen lassen.

1899, als Mutter mit meinem Vater verlobt war, fuhren die Grosseltern nach Barmen, um die zukünftige Heimat ihrer Tochter kennen zu lernen. Ein Gedicht von meinem Vater:

Nun war die Zeit des Herbst gekommen,
die Astern leuchteten schon fahl,
als kurz entschlossen, schnell besonnen
die Eltern fuhr'n ins Wuppertal.
Sie wollten gern die Stätte schauen,
die weit bekannt als Regennest,
wo an der Regenrinne fest,
die Schwalben ihre Nester bauen.

Es würde klingen sehr vermessen
zu sagen, dass die Wupperstadt
mit ihren Schloten, ihren Essen
für Fremde starke Reize hat.
Doch wer durchwandert die Umgebung,
aufwärts nach jenem bess'ren Teil,
der fühlt für's gerade Gegenteil
im Herzen leise eine Regung.
Der Park, das Denkmal, und die Teiche,
das Standbild neben der knorr'gen Eiche
des Dichters Emil Rittershaus;
der Ringelpark mit seinen Stufen
die halten wahrlich standhaft aus
der Kritik Stimme unberufen.

Das sah auch Schwiegervater ein.
Er wurde plötzlich besserer Laune
und brach - es war direkt zum Schrei'n
Den Grund zur Abreis' nicht vom Zaume
Wir machten dann in diesen Tagen,
nach Remscheid, Müngsten, Morbachtal,
er fand das wirklich ganz feudal,
der Ausflüg mehrere im Wagen.
Als dann meine Eltern verheiratet waren, machten sie mit den Grosseltern gemeinsam eine Reise nach Frankreich zu den Schlachtfeldern 1870/71. Sie waren in Metz, Gravelotte, Mars la Tour, Longevy, und Sedan. Die Grosseltern bekamen das Zimmer, wo Napoleon III die letzte Nacht vor der Schlacht verbrachte. Es standen zwei Betten im Zimmer. Grossmutter schlief im Himmelbet und behauptete Napoleon hätte darauf geschlafen. Während Grossvater sagte, natürlich in seinem einfachen Bett hätte Napoleon geruht. Grossmutter behielt das letzte Wort indem sie behauptete, das Bett wäre erst später hineingestellt worden und damit Punktum.

Am anderen Morgen nach dem Frühstück warteten die drei auf dem Peron auf Grossmutter. Der deutsche Zug war schon eingelaufen und die Unruhe der drei stieg. Da kam Grossmutter am Arme eines Herrn, verabschiedete sich liebenswürdig und stieg ein. "Wo bist Du bloss gewesen, Greta?" fragte Grossvater ärgerlich und "wer war der Herr?" - "Das weiss ich nicht, Heinrich, aber er war sehr liebenswürdig, Wir sassen auf derselben Bank im Park und als ich ihn nach der Abfahrt des deutschen Zuges frug, hat er mich herbegleitet." Ein Herr, der im selben Abteil sass, mischte sich ins Gespräch: "Wissen sie nicht wer der Herr war?" Auf ein verneinendes Kopfschütteln fuhr er fort: "Der König von Dänemark!" (Parbleu!!! Friedrich VIII)

1903 oder 1904 is Grossvater noch einmal in Barmen gewesen. Es gab eine Photographie, wo Grossvater Behnke mit mir am Fenster der neuen Wohnung sitzt (Weberstr. 3). Er hat mich nur als ganz kleines Kind gekannt. (Ich war dreieinhalb als er starb.) Er befahl mir einmal, als er nach Tisch auf dem Sofa ruhte die Tür zuzumachen. Ich Drekäsehoch sah ihn an, ging hinaus und liess die Türe sperrangelweit offen. Das hätte keines seiner Kinder gewagt, aber ich war ja noch so klein. Er sagte von mir zu den anderen: "gläunige Deern!"

Am Mittwoch den 22.II.1899 feierte er sein 50jähriges Geschäftsjubiläum. In der Zeitung stand: Sein 50jähriges Jubiläum beging der Direktor der Chemischen Fabrik vormals Hell & Staurer, Herr H. Behnke. Freunde und Verehrer des Jubilars brachten ihm zu Ehren einen Fackelzug und veranstalteten einen Commers, der von circa 80 Personen besucht war, gewiss ein beredtes Zeichen, welch grosse Sympathien Herr Direktor Behnke sich in seinem Freundes- und Bekanntenkreises erfreut. Ein ausserordentlich seltenes Jubiläum.

Viele Geschenke bekam er aus deisem Festanlass geschenkt:

  1. Lederbuch in dem die ganze Rede auf Büttenpapier aufgezeichnet, vielmehr gemalt war. Das Buch ist jetzt im Besitz von Professor Heinz Behnke in Münster.
  2. silbernes Schreibzeug mit Tintenfass und Sandstreuer und Widmung (war seit Dezember 1948 in meinem Besitz, seit VIII 1963 Ina geschenkt.)
  3. silberne Obstschale mit Widmung (Toelleturmhaus, bei meinem Bruder Klaus Wiescher)
  4. Leuchtturnuhr aus Messing (seit 1933 im Besitz von Papa.)
  5. Gemälde Kartenspieler
  6. Gemälde erzählender Jäger (seit 1935 sind beide Gemälde in meinem Besitz.)
  7. Das Trinkhorn mit Widmung der Liedertafel "Blaue Brücke".
Tante Henriette Grube
Henriette Grube geb.Steinwaerder Nach seinem Jubiläum verliessen die Grosseltern das alte Haus in Billwärder und zogen in das von Grossvater erbaute Haus in Hamburg - Horn, Horner Landstrasse 369. Das Haus lag an einem grossen Garten, der sehr schöne Bäume, Platanen hatte. Es gab dort auch ein Treibhaus mit lauter Weinstöcken, ein anderes Treibhaus, für die empfindlichen Bäume im Winter, Palmen und Loorbeerbäume, und wo der Gärtner Hildebrand die winzigen Pflanzen pikierte. Auch einen Hühnerstall gabe es. Inmitten des Gartens stand die Laube, wo ich als Kind mit meiner Kusine Martha Steinwärder mit den Puppen spielte. Auf der Rasenfläche wuchsen hochgezogene Rosenstöcke und man fand - meine ganze Kinderwonne - Zwerge aus Porzellan. Einer schob sogar eine Schiebkarre. Unter den Platanen im Vorgarten stand ein Tisch und Bänke mit Kissen belegt, wo wir im Sommer frühstückten und die Vorgänge auf der Landstrasse beobachten konnten. Wir selbst waren von neugierigen Blicken geschützt. Es war dort immer sehr gemütlich. Hinter dem Haus gab es einen Obstgarten mit Johannisbeeren und Himbeeren und einigem Spalierobst. Auch gab es ein kleines Pförtchen zu einem Weg mit circa zehn kleinen einstöckigen Häuschen, die Grossvater gehörten. Dort wohnte eine Schwester von Grossmutters Tante Henriette Grube als Witwe. Das Grosseltern Haus beschreibe ich später.

Im selben Jahr 1899 fand im Juli die Verlobung der Tochter Alma statt. Aus Vater's Gedichte, meiner Grossmutter Behnke gewidmet:

Direktor Behnke, ein Germane
Eine nord'sche Eiche, ein Titane

Geruhte auch mich zu empfangen
Ich trug ihm vor mein still Verlangen,
und als er hörte, dass die Maid
mir auch gewogen sei mit Schneid,
und ich nur seine Tochter wollte
und nicht sein Geld wie Pfarrer Nolte

Er auch betonte, dass nicht er
In Frage käm, vielmehr die Deern,
Doch las ich aus dem Blick des Herrn
Dass ihm ein Eidam aus Billwärder
Aus Hamm, Borgfelde, Finkenwärder
Weit lieber sei als wie aus Barmen,
dem Regennest, Gott hab Erbarmen

Doch hat dann Mutter Behnke mich
Zum Schluss ans Herz gezogen
Ihr Busen hob sich wunderlich
Wie schäumend brand'ge Wogen.

Direktor Behnke galt in Horn
In Schiffbeck und Billwärder
Bei Krone und bei Bier und Korn
Nicht als ein Spielverderber

Auch war als heiter er bekannt
Der Firma Hell und Sthaurer
Er fabrizierte allerhand
In seiner dunklen Kammer,
Salpeter für das Pulverfass
künstlichen Dünger, notfalls nass
Und Helgoländer Wasser,
das wurde immer blasser

Er sah auf eine Tätigkeit
Von 50 Jahren zurücke
Und suchte die Behaglichkeit
Ganz frei von aller Tücke
Er war fast 70 Jahre alt,
die Füsse waren immer kalt
doch trotz der vielen Plagen
hört man ihn selten klagen.

Die chem'schen Werke kamen dann
Gern seinem Wunsch entgegen
Er nahm den Abschied und begann
Sogleich ein ruhig'res Leben
Finanziell ganz gut gestellt
Wie wenige in dieser Welt
lebt er dann ohne Sorgen
und brauchte nicht zu borgen.
Am Mittwoch, den 16. V. 1900 heiratete meine Mutter Alma Behnke meinen Vater Ernst Wiescher. Zur Hochzeit kamen alle Verwandten aus Barmen und Hamburg zusammen. Das Unglück wollte es, dass Lieschen Freyberger-Mangels, Vater's Nichte und Mutter's Pensionsfreundin vergass ihrem Mann die Frackhose einzupacken. Der Arme musste mit einer geliehenen Hose herumstolzieren und sah danach aus und fühlte sich danach. Die Brüsseler Wiescher, Onkel Oskar und Tante Paula, kamen auch. Tante Kahler, geb. Steinwärder, Grossmutters Schwester, die ungern Geld ausgab, hatte von Grossmutter den Befehl bekommen sich einen neuen Zopf anzuschaffen. Zur Hochzeit kam sie wirklich mit einem tiefschwarzen Zopf. Mutter wunderte sich sehr und frug danach. "Ach so" antwortete Tante Kahler, "hab ihn nur in schwarze Tinte getaucht.". Aus Vaters Gedicht:

Da war auch eine Tante Kahler
Der Schwiegermutter ältre Schwester

Die fand mich gar so übel nicht
Ihr Urteil hatte auch gewicht
"en finen Kerl, en netten Kerl
but völ to auld för so'ne Deern"

Er mann was dod, de Onkel Kahler,
ich hab ihn leider nicht gekannt,
doch hat er einen Sack voll Tahler
tosammen rafft so unwerhand
er importierte Bordeauxweine
und machte daraus Kassenscheine
mit ganz gewaltigem Profit
akkrat wie anners hüt mit Sprit

Sie lebte für sich ganz retiriert
In der Behausung stillen Kammer
Mit der Beschäftigung - oh Jammer -
Zu trennen mit der Scheere Schneide
Die Zinzcoupons und Anteilscheine.
Auf der Hochzeit wackelte diese Tante mit dem Kopfe. Deshalb behaupteten die servierenden Kellner, " die olle Dame scheint mit de Hirot nich einverstanden zu sein."

Von dieser Tante wird erzählt, dass sie als Kind mit der Mutter unterwegs von einer Bekannten angeredet wurden, die die hübsche Tochter bewunderte. Da entgegnete die Mutter: " sie sollten mal erst meine Tochter Rebecca sehen, die hat Augen so gross wie Räder und schwarz wie Kohle." Das Kind hat diese Bemerkung nie vergessen und nie verziehen.

Tante Rebecca Graumann / Tante Magdalena Kahler
Rebecca Graumann geb. Steinwaerder Magdalena Kahler geb. Steinwaerder

Nach dieser Abschweifung komme ich wieder zu Grossvater Behnke, der noch fünf Jahre in seinem neuen Haus lebte. Er starb an Magenkrebs. In Behnkes Haus ist immer zu gut gegessen worden. Zum Frühstück viel Butter und westfälischen Schinken und Speck in Würfel, ausserdem stand ein Spannkorb voll guter Sachen auf dem Servierwagen mit Gänseleber etc und jeder knabberte daran herum. Grossvater schloss mal zu Ostern eine Wette ab 40 hartgekochte Eier zu verspeisen und er gewann.

Oder die Grosseltern waren eingeladen. Es gab nach Hamburger Sitte gute, teure Sachen, aber wenig dazu und dazu noch knapp. Nach Hause gekommen rief Grossvater "Greta, nun fahr mal auf", und wieder wurde gegessen. Alle diese Sünden förderten nicht die Gesundheit. Grossvater starb am 2. Oktober 1904 mit 70 ½ Jahren.

Seine energische Mutter war eine geborene Gesa Suck (ihre Silberhochzeits- tasse mit Namen ist noch vorhanden bei Klaus Wiescher.) Der Neffe ihres Ururgrossvaters: Hans Jacob Suck * 1738, war als junger Mann ausgewandert und hatte im dunklen Afrika oder Australien ein Vermögen angesammelt. Er war danach nach London gekommen und war ohne Erben zu hinterlassen gestorben. Sein Vermögen lag auf der Bank. Eines Tages erhielt Grossvater ein langes Schreiben von einem "Suck" er möchte sich doch als Sucknachkomme auch an den Reklamationen der Bank beteiligen. Grossvater fand das Ansinnen verrückt und schrieb darunter "Indiskutabel" und liess das Schreiben unbeantwortet liegen.

Am 30.III.1901 konnten die Grosseltern die 40jährige Wiederkehr ihrer Hochzeit feiern.

Margaretha Behnke
Margaretha Behnke geb.Steinwaerder Meine Grossmutter Behnke war eine geborenen Steinwärder und wurde am 15.III.1842 geboren. Sie war das sechste Kind der Eheleute. Ihre Mutter war die, die als Kind das Erlebnis mit der Truhe hatte. Als Grossmutter noch keine zwei Monate alt war brach der Hamburger Brand aus von 5.-8.V.1842. Das Läuten der Sturmglocken zeigten eine grosse Feuersbrunst an. Das Feuer flog mit Windeseile von Haus zu Haus, da durch die regenlose Zeit alles Holz ausgetrocknet war. Es fehlte an Menschenhänden die Spritzen zu bedienen und am meisten fehlte Wasser. Das Militär wurde zur Hilfe hinzugezogen und alle, die müssig und neugierig herumstanden, wurden aufgefordert zu helfen, die Obdachlosen wegzubringen, Hab und Gut derselben zu retten und mit an den Schanzen zu arbeiten um das Feuer einzuschränken. Mein Urgrossvater Hans Matthias war am 6.V. mit Pferd und Wagen in die Stadt gefahren. Er wurde dort festgehalten und half bei den Schanzarbeiten. Am dritten Tag fing man als letztes Mittel an zu sprengen, um dem Feuer die Nahrung zu nehmen. Es dauerte aber noch bis zum 8.V, bis man des Feuers Herr wurde. Drei Tage sass meine Urgrossmutter ohne Nachricht von ihrem Mann bis er am 8. abends total verdreckt wieder auftauchte.

Hans Matthias wurde später gelähmt, meine Grossmutter kannte ihren Vater nur im Rollstuhl. Dann im Alter bekam er zwei eiternde Zehen. Als die ausgeheilt waren, konnte er am Schluss seines Lebens wieder gehen.

Aus Grossmutters Kinderzeit weiss ich eigentlich nichts. Nur, dass sie ungern zur Schule ging. Aus dieser Zeit stammt noch ihr Namenstuch in dem das ABC in farbiger Seide, in Kreuz- und Plattstich mit Perlen bestickt war. Ich sah es einmal in Grossmutters Sekretärschublade. Meine Mutter hatte auch ein Namentuch aber nur in rot und in Kreuzstich bestickt (jetzt im Besitz von Ina.)

Die drei Schwestern waren schon verheiratet als ihre Mutter starb (October 1859). Grossmutter, die damals 17 Jahre alt war, musste den Haushalt übernehmen. Sie war sehr geschickt und flink. Beim Erbsenzählen plumpsten die Kugeln nur so in die Schüssel. Ihr Ausspruch war: "Die Deern muss so flink sein, dass sie sich auf einem Teller drehen kann." Da Grossmutter abergläubisch war stellte sie keinnen Dienstboten am Anfang der Woche an: "mandag wrd nicht wochenolt." Sie war ebenso wie Grossvater überzeugt: eine Reise am Freitag anzutreten oder eine Hochzeit am Freitag zu begehen brächte Unglück.

Grossmutter hatte viel Humor und Mutterwitz und war sehr geistesgegenwärtig. Davon gibt es mehrere Erzählungen. Eine ganze Clicke junger Leute beiderlei Geschlechts befand sich auf der Blauen Brücke in Billwärder, als Grossmutter plötzlich ein Rutschen an ihrer Kleidung hinten bemerkte, "Oh Gott, der Coul de Paris." (Kissen unter dem Oberkleid.) Was machen? Grossmutter sah es am Rande des Bruckengeländers liegen. Ein Tritt mit dem Fuss beförderte es in die Bille. Nun war Grossmutters Figur etwas komisch, aber besser so, als das Kissen vor allen Leuten aufzuheben.

Auf einer Gesellschaft wurde sie von einem fremden Herrn gefragt, ob Herr M... zu den Senatoren gehöre. "Oh ja", sagte Grossmutter mit toternstem Gesicht, "er ist Senator sin Hackenkiecker (also jemand der auf des Senators Hacken guckt.) und Likendraeger (Leichenträger). Zuerst war der Herr ganz verduzt dann lachte er schallend.

Sie hatte ganz bestimmte Ausdrücke: Sie sprach von Druwappeln (geschrumpfte Äpfel) oder bei der Heirat eines hässlichen Mannes: "Es is doch keen Pütt so scheef, do passt en Deckel op." Oder ein Hoppe, Hoppe Reiterlied für meine Brüder: " Zuck, zuck, zuck mein Möhlen Haus, op de geelen Klaus, op de bunte Kuh, so reiten wir nach Möhlen too, rapumpel, rapumpel, rapumpel."

Als sie in Barmen bei uns zu Besuch war, fing das Kindermädchen an, immer von der Grossmutter zu sprechen. Da meinte sie: " Ich bin wohl die Grossmutter fürs ganze Hus."

In ihren letzten Lebensjahren besuchte sie Neuenahr zur Kur. Da will es das Pech, dass der alte Arzt pensioniert war und sein junger Nachfolger Grossmutter untersuchte. Zum Schluss stellt er an sie die Frage, ob sie gerne lebe? "Dod kann ich noch lange genug sein," war ihre trockene Antwort, was der junge Arzt lachend bestätigte.

Eines Tages brach in der chemischen Fabrik ein Brand aus, Grossmutter eilte auf den Hof, um zu sehen, ob das Wohnhaus gefährdet war uns sah wie der olle Kröger brennend an der Regenrinne herunterrutschte. Alles schrie entsetzt auf, aber sie rief schnell Leute herbei und liess Kröger in die Regentonne tauchen. Der Mann verdankte ihrer Geistesgegenwart, dass er nur mit einigen Brandmalen davon kam.

Grossmutter trug morgens immer ein Häubchen, um den etwas dünnen Scheitel zu verdecken. Es hielt ihr sehr genau, dass die Schweizer Stickerei gut gesteift und hübsch gebügelt war. In der Mitte des Häubchens war ein buntes Band durchgezogen, mal rosa, mal blau, einmal sogar lila Das fand sie aber machte sie zu alt. Diese Sitte für alte Damen gefiel ihr immer sehr.

Im Jahre 1912 war Mutter schon zu Grossmutters 70. Geburtstag (15. März) nach Hamburg gefahren. Mein Zeugnis zu Ostern war gut, so durfte ich zur Belohnung in den Osterferien. Meine beiden Brüder hatten sich aber die Grippe geholt und ich hatte ihnen Umschläge gemacht. Als ich abfuhr hatte ich Kopfschmerzen und unterwegs wurden sie immer schlimmer. Als ich in Hamburg ankam war ich schwer krank. Der Arzt stellte Lungenentzündung fest. Viele Tage lag ich bewusstlos und phantasierte. Nur wenn die schrecklich kalten Umschläge auf die Lunge gelegt wurden schreckte ich zusammen. Aber allmählich ging es aufwärts. Vetter Heinz besuchte mich und lieh mir seine "Darbovensammlung" zum besehen. Eine Kusine von Mutter, Tante Gretchen Behnke - die Kaffee von Darboven vertrieb und deshalb Kaffeetante hiess - besuchte uns. Grossmutter unterstützte Verwandte wie sie und seitdem bekam nicht mehr Vetter Heinz die Kaffeebilder sondern ich. Ich lernte Halma spielen und Belagerungsspiele und das Angelspiel. Es waren Klötchen, die auf der Unterfläche Nummern hatten; die Klötzchen musste man mit der Angel fischen, was garnicht einfach war. Sieger war der, der die höchste Zahl gefischt hatte.

Als ich auf der Besserung war durfte ich auf der Chaiselongue in Grossvaters Arbeitszimmer liegen. Von dort aus konnte ich das Leben und treiben auf der Strasse beobachten, oder wenn Grossmutter Ihr Kränzchen hatte beobachten, wie die vier Damen Karten spielten, beim Kartenglück "toi, toi, toi" riefen und unter dem Tisch klopften. Dann rief wohl eine Tante: "Grete, nicht mogeln", was sie bestimmt nicht hat. Aber das Ende vom Lied war, sie musste bezahlen und sie war gutmütig genug es zu tun, auch war sie geldlich am besten bestellt.

Als ich ganz wieder hergestellt war, nahm mich Grossmutter mit ins Operettentheater. Die drei Tanten begleiteten uns. Es wurde "Rund um die Alster" gegeben von den "Gebrüdern Wolf"; teilweise gesungene Vorstellung, teilweise Kino, dabei gab es eine Verfolgung, über Balkons und Dächer ging es. Der Kaiser wurde durch den Kakao gezogen mit den Worten "Aujuste, pack mir meinen Koffer". (Hamburg, als freie Hansestadt konnte sich das erlauben.) Das gesungene Lied hiess:"Komm in meine Liebeslaube, in mein Paradies .." Das ganze war ein Vorläufer des Tonfilms. Ich war damals elf Jahre alt, Grossmutter siebzig Jahre, war schwerhörig, Tante Grube geb. Steinwärder war schon lange Witwe und humpelte, Tante Booth geb. Behnke 70 Jahre schielte, Tante Bieke geb. Behnke 68 Jahre hatte nichts.

Im selben Jahr kam ich nochmals mit meinen beiden Brüdern zur Grossmutter. Mit den Vettern tobten wir im Garten herum und einmal erzürnten wir Grossmutter sehr als wir aus einem Fenster auf den Geräteschuppen kletterten und dann in den Obstgarten sprangen. Nach diesem ärgerlichen Vorfall zog ich es vor mit meiner Cousine Martha Steinwärder mit kleinen Puppen zu spielen wofür sie Kleider nähte. Sehr oft liefen wir in das Haus ihrer Mutter wo es einen herrlich grossen Garten gab und eine Laube, wo sich das ganze Familienleben abspielte. Das Steinwärder'sche Haus lag gleich gegenüber von Grossmutter's Haus.

Einmal machten wir mit Grossmutter einen Ausflug. Ich bekam den Befehl " Sag Hildebrandt (Gärtner) Brinkmann (Kutscher) soll de Peed anspannen, wir wollen nach Blankenese". Es war ein wunderschöner Tag. Zuerst gin es durch Horn, Hamm, dann durch die Stadt zur Elbchaussee, am Ufer der Elbe entlang nach Blankenese. Dort haben wir in einem Gartenlokal gegessen. Der Blick auf die Elbe und die vorbeifahrenden Schiffe war sehr schön und eindrucksvoll. Auf der Rückfahrt wurde Bruder Klaus (5 Jahre) sehr ungezogen. Da es schon dunkel wurde und der Himmel sich bezog musste das Verdeck der Kutsche zugemacht werden. Das passte dem Jungen nicht und Klaus warf sich voll Wut auf den Boden und strampelte mit den Füssen. Erst ein paar Hiebe von Grossmutter brachten ihn wieder zur Vernunft. Trotzdem waren wir alle froh als wir wieder zuhause anlangten.

Grossmutter`s Kochkunst war gross. Vater setzte ihr ein Denkmal in seinem langen Gedicht:

"... und als die Uhr dann zwölfe klang
führt Schwager Dick mich hin zu Tisch,
erst gab es Suppe und dann Fisch
und hintendrein noch Schweinefleisch
garniert mit Dill und dickem Reis
und da der Fisch stets schwimmen soll,
besonders Lachs vom alten Zoll,
so gab es auch daneben
schön ausgequetschte Reben ...
Das Essen das ich just beschreieben
Verlief korrekt zu aller Freud
Man duzte sich und war zufrieden
Und gratulierte allerseits ...."
Was Grossmutter auf den Reisen nach Berchtesgaden, Ungarn, Frankreich und Bad Neuenahr passierte habe ich ja schon erzählt. Im Jahre 1899 hatte sie eine schwere Grippe und lag auf dem Tod. Wie es ihr besser ging klagte sie über einen süssen Geschmack im Mund, wie nach Bolsches (Klümpchen im bergischen genannt). Der Arzt stellte Zuckerkrankheit fest, durch die vielen Aufregungen hervorgerufen. Mit den Jahren wurde es schlimmer. Bad Neuenahr brachte ihr nur auf kurze Zeit Erleichterung. Am 11.Februar 1916 schlief sie sanft in ihrem Lutherstuhl am Fenster ein, noch keine 74 Jahre alt.

Grossmutter's älteste Schwester war Tante Henriette Grube.

" ... Da war auch noch die älteste Schwester
von Mutter, eine Tante Grube
in deren Zügen las man Rester
von Schönheit ehmals in der Jugend
Jetzt war sie umfangreich und fett
In Kleidung aber ganz adrett
Die Dame wohnte schlicht und traut
In einem jener Häuser
Die Schwiegervater hat gebaut
Als Vorsichtsrat und Weiser ..."
Die zweite Tante Lene Kahlen habe ich bei Mutters Hochzeit erwähnt. Die dritte Schwester war Tante Rebecca Graumann. Ihre Ehe blieb kinderlos. Am 26. Oktober 1906 feierte sie Ihre goldene Hochzeit. Im Jahre 1912 besuchten wir Graumanns in Billwärder. Sie hatten ein kleines Häuschen an der Bille. Tante Rebecca sass aber hilflos im Rollstuhl und bekam elektrische Schläge durch den Körper gejagt, zu meinem Entsetzen. (Ich nehme jetzt an, dass sie einen Schlag gehabt hatte.) Sie starb im Februar 1914.

Behnke-Haus in Hamburg-Horn Das Grosselternhaus kenne ich natürlich zu Grossmutters Zeiten, denn bei Grossvaters Tod war ich 3½ Jahre alt. Im Keller war das Badezimmer und die Pumpkammer wo Hildebrandt jeden morgen das Wasser nach oben pumpen musste. Dann noch der obligate Kohlenkeller, Speisekammer, Küche und Vorzimmer. Dort stand ein Tisch mit Waage und Gewichtsteinen, zum Nachprüfen der gekauften Ware. Auch gab es dort ein Fenster, wo die Fischfrauen in ihren flachen Körben Schollen anboten.

Vom ersten Stock habe ich eine Grundrisszeichnung gemacht.

1. kleiner Salon in Nussbaum a. Etagere mit Porzellanfiguren, Vasen und silbernem Pokal (jetzt im Besitz von Hans Wiescher) b. Kachelofen c. Konsole mit goldenem Spiegeltisch und Marmorplatte d. Hier hing das kleine Gemälde Motiv: Strand und Meer" von Oke jetzt in meinem Besitz 2. Grosser Salon in Mahagoni und Ebenholz a. Klavier b. Ebenholzbarometer aus England, jetzt in Canada, 1954 verbrannt. c. Konsole und goldener Spiegeltisch d. Gläserschrank (jetzt im Besitz von Heinrich Behnke) e. Buffet, mit Marmorplatte, darauf stand die silberne Obstschale und zwei Porzellanvasen. (Buffet und Obstschale sind in Barmen im Besitz von Klaus Wiescher, die vasen sind in Madrid und Berlin) f. Sprachrohr zur Küche g. Geschnitzte Wanduhr (jetzt in Madrid) h. Kachelofen i. Ebenholzmöbel, durch die Schnitzereien sehr unbequem und deshalb die Annahme von meinem Vater verweigert. 3. Kleines Wohnzimmerchen a. hier hingen die beiden Olgemälde, 1. Kartenspieler und 2. Jäger-geschichten in Goldrahmen, Maler unbekannt (jetzt in Madrid) b. 2 Lutherstühle, einer bei Bruder Klaus, einer bei Heinz Behnke in Münster c. schmiedeeiserner Grogtisch mit Porzellantablett (kaputt) und 6 Kupfergroggläsern und ein Kupferkessel (Madrd) 4. Veranda Mit Schreinegemälde (?) von meinem Vater 5. Garderobe mit Konsole und vergoldetem Spiegeltisch mit Marmorplatte 6. Esszimmer in Eiche (im Anbau) a. Buffet, hier stand die rote Kristallflasche für Likör (von Frl. V. Horn gekauft, Barmen) und Zinnbecher (jetzt Canada) b. Hohe, schwere Eichenstuhle mit Ratsherrnlehnen. Sie sind 1916 nach Omis Tod bei der Versteigerung von einem Juden für 3 Mark pro Stück aufgekauft worden. Um Bekannte am Kauf zu hindern hielten sie die Türe zu. c. Stummer Diener,(Serviertisch) 7. Treppenhaus a. Kuckucksuhr Im Zweiten Stock: 1. waren die Schlafzimmer 2. Wohnzimmer, wo wir frühstückten. Am Kachelofen gab es eine Klappe um den Kaffee warm zu halten. Hier am Tisch fand auch das Spielkränzchen statt. Dann gab es hier wieder ein Sprachrohr in die Küche. 3. Im Arbeitszimmer stand Grossvaters Schreibtisch und auf ihm eine Leuchturmuhr aus Messing (jetzt in Madrid) Im Dachgeschoss:

Gab es ein Geheimzimmerchen wo ich die Steinsammlung fand (Ametyst in Madrid) und eine Uhr unter einem Glassturz. Das Geheimzimmerchen war mit einer Tapetentür geschlossen.

Im Mädchenzimmer standen auf der Kommode die ausgestopften Vögel unter einem Glassturz. Da gab es einen Kolibri, einen Wellensittich, ein Rotkehlchen, etc.; sie stammten noch von Ludwig Adolph.

Im Fremdenschlafzimmer stand der Sekretär, den ich als Kind so gerne haben wollte und stattdessen den weissen Schreibtisch zu meiner Entäuschung bekam.

Grossmutters Haus wurde 1918 verkauft. Aus Klausens Brief vom 11. 1959

"... habe ich mir die Zeit genommen, Grossmutters Haus zu fotografieren. Es war ein trostloser Anblick. Wie schön war es dort zu meiner Kinderzeit ... Grossmutters Stolz, die Platanen abgeholzt, Zaun weg, Stück Garten weg, Haus verwahrlost."
Es waren eben 36 Jahre seit dem Verkauf vergangen.
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